Unsere mobile und durchglobalisierte Welt
ist durch Covid-19 ins Stocken geraten: Reisebeschränkungen, Quarantäne,
Eintrittstests... Mobilität und Tourismus erleben einen nie dagewesenen
Umbruch. Auch in Rijeka waren die Sommer- und Winterferien zuletzt weniger
international als sonst. Vor allem in vorigem bzw. diesem Jahr indem sich
Rijeka als Kulturhauptstadt Europas beweisen musste. Jede Krise bietet auch
Chancen und es scheint uns, dass die Kunst mit ihren Praktiken einen Ausweg aus
diesem dystopischen Szenario bieten kann.
Dass Europa als
Ballungsraum des Weltkulturerbes so etwas wie ein Mekka für den internationalen
Kulturtourismus darstellt, mit prächtigen Bauwerken, einzigartigen Zeugnissen
der Zeitgeschichte, Museen, bis zum Rand gefüllt mit glanzvollen Kunstwerken,
weltberühmten Ruinen und Persönlichkeiten, mit Aufsehen erregenden
Pilgerstätten und ihren Überlieferungen, das hat sich längst bis in die
entferntesten Teile der Welt durchgesprochen. Und dass sich die bezaubernde Hafenstadt
Rijeka mit einer sehr langen Geschichte zum Dreh- und Angelpunkt europäischer
Kultur und somit zum ultimativen Sightseing-Hotspot des internationalen Kunst-
du Kulturtourismus wird, erstaunt nicht einmal mehr die hartgesottensten Tourismus-Expert*innen
und Kulturmanager*innen.
Verantwortlich dafür ist
das Künstlerkollektiv God’s Entertainment! Mit ihrem Parcours EUROPA TO GO werden sie in Form einer
geführten Fake-Tour das Zentrum der Kulturhauptstadt ein für alle Mal zum
kulturellen Zentrum Europas machen. Herr und Frau Tourist*in müssen jetzt nur nach
Kärnten fahren, um die Sehenswürdigkeiten europäischer Topdestinationen
betrachten zu können. Die Überreste der Berliner Mauer werden ebenso zu
bestaunen und abzuknipsen sein wie die Heilige Maria von Medjugorje, oder eine
Gondelfahrt, die so sonst nur in Venedig zu erleben wäre. Das Grab von Jim
Morrison wird uns Blumen-Tränen entlocken und die Zitzen der römischen Wölfin
werden all jene dazu einladen an ihnen zu saugen, die auf den sanften Hügeln
eine neue Stadt errichten wollen.
Europa ist eigentlich ein Museum per definitionem, das
einen hohen Preis kostet. Die in den Verträgen der EU verankerte Freiheit für Flexibilität
und Mobilität gilt natürlich nicht für Geflüchtete oder Asylsuchende. Ihnen
wird, aufgrund ihrer eingeschränkten Bewegungsfreiheit, die Teilnahme an
kulturellen Erlebnissen, der Besuch von anderen Sehenswürdigkeiten und das
Kennenlernen der vielfältigen Geschichte Europas weitgehend verunmöglicht.
Dementgegen wirkt Europa To Go wie ein Gegengift und bietet die Möglichkeit
die Sehenswürdigkeiten Europas zu besuchen, ohne außerhalb der Stadtgrenzen reisen
zu müssen, sich dabei eventuell strafbar zu machen und so die Chance auf einen
Aufenthaltstitel zu verlieren. Oft scheitern diese Städtereisen auch an den
finanziellen Mitteln. Das betrifft nicht nur die Asylwerber*innen sondern auch
all jene, die zwar aufgrund ihres Passes reisen könnten, aber denen das Budget
fehlt, nach London zu fahren, oder nach Paris oder Venedig. Auch sie sind
herzlich eingeladen. Zusätzlich stellt diese Form des komprimierten
Städtetourismus einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Minimierung des
CO2-Ausstoßes dar und bietet umweltbewussten Kulturafficionados die Möglichkeit
zum Sightseeing ganz ohne schlechtes Gewissen.
God’s Entertainment stellen
die Sehenswürdigkeiten Europas auf und aus und bespielen sie in Zusammenarbeit
mit dem in Bosnien arbeitenden und lehrenden Künstler Dejan Pranjković, der für
die täuschend ähnlichen „Fälschungen” der touristischen Fetisch-Objekte
verantwortlich sein wird. Wobei es sich genau betrachtet um Fakes handelt, die
keine sind. Für das adäquate Verständnis des Begriffs Fake, erscheint uns ein Satz von Tolstoi passend: Wenn man die Dinge betrachtet, um sie zu
beschreiben, so sieht man sie nicht. Im Laufe unseres künstlerischen
Werdegangs stützten wir uns unzählige Male auf surrealistische Werke und deren
Autor*innen, die nicht selten eine Gegenposition einnehmen, wenn es um die
Definition von Originalität geht. So werden Reproduktionen nicht als reine
Kopien, welche eine Verurteilung als Fälschung nach sich ziehen, gesehen,
sondern als Kritik an der Institution Kunst mitsamt ihrer Ideologie des
Originals. So kaufte Marcel Duchamp 1914 eine Landschaftsdarstellung als
Kunstdruck, fügte ihr zwei Farbtupfer hinzu und signierte das Bild. Der Fake
negiert in diesem Sinne den ursprünglichen Charakter als eigenständiges Werk
und wird durch die Bearbeitung zu einem weiteren (durch Duchamps Hinzutun)
Werk. Durch die Reproduktion auf drei weitere Exemplare hebt Duchamps noch
zusätzlich den Vervielfältigungscharakter seines Kunstwerks hervor.
Während der Recherche-
und Vorbereitungszeit von 4-6 Wochen werden die Kultur- und Wirtschaftsaspekte
für das Projekt in Betracht gezogen und demensprechend eine Auswahl von
Sehenswürdigkeiten bzw. beliebten Destinationen getroffen, die anschließend
ausgearbeitet und hergestellt werden. Nach den Genehmigungsverfahren für die
Standorte und Platzierung der Sehenswürdigkeiten folgen die Ausarbeitung der
Performancetour. Eine Reisegruppe von ca. 40 Personen, aufgeteilt in zwei
Gruppen, besichtigt in Form einer zweistündigen Zu-Fuß-Tour unter anderem: den
Friedhof Père Lachaise, mit Gräben von Jim Morrison, Viktor Noir, Oscar
Wilde...; Walk of Fame, Red Light District; die Überreste der Berliner Mauer;
die Kafka-Statue von Prag; Meridian von Greenwich; Kapitolinische Wölfin; Ewige
Flamme aus Sarajevo; MOMA NYC; Christo und Jeanne-Claude oder eine
venezianische Gondel, etc. Der
Würstelstand, österreichischer Leuchtturm und fundamentaler Beitrag zur
europäischen Hochkultur darf selbstverständlich nicht fehlen und wird ebenfalls
besichtigt. Dabei können alle das
tun, was im Massenkulturtourismus längst Realität ist: rein in den Bus, hin zum
touristischen Objekt der Begierde, das Instanterlebnis kurz aufsaugen und
ablichten, auf Instagram posten, noch schnell ein Souvenir kaufen und dann
wieder weg – um letztlich sagen zu können: Wir
sind auch da gewesen!
Die Tour ist
anpassungsfähig und künstlerisch disponierbar, insofern wenn eine oder andere
Verordnung künftig geben soll, wie beispielsweise unter Pandemie oder Klimawandel
Umständen, dass wir es so ändern können um daraus eine entsprechende Tour
vorzubereiten und durchzuführen.
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Our
mobile and thoroughly globalized world is stalled by Covid-19: Travel
restrictions, quarantine, entry tests.... Mobility and tourism are experiencing
an unprecedented upheaval. Even in Rijeka, summer and winter vacations have
recently been less international than usual. Especially last year and this
year, when Rijeka had to prove itself as the European Capital of Culture. Every
crisis also offers opportunities and it seems to us that art with its practices
can offer a way out of this dystopian scenario.
The
fact that Europe, as a conurbation of world cultural heritage, is something of
a Mecca for international cultural tourism, with magnificent buildings, unique
testimonies to contemporary history, museums filled to the brim with glittering
works of art, world-famous ruins and personalities, sensational pilgrimage
sites and their lore, has long since spread to the most distant parts of the
world. And the fact that the charming port city of Rijeka, with a very long
history, is becoming the hub of European culture and thus the ultimate
sightseeing hotspot of international art and culture tourism, no longer
surprises even the most hardened tourism experts and cultural managers.
Responsible
for this is the artist collective God's Entertainment! With their EUROPA TO GO
course, they will turn the center of the Capital of Culture into the cultural
center of Europe once and for all in the form of a guided fake tour. Mr. and
Mrs. Tourist*in now only have to go to Carinthia to see the sights of European
top destinations. The remains of the Berlin Wall can be marveled at and
snapped, as can the Holy Mary of Medjugorje, or a gondola ride that could
otherwise only be experienced in Venice. The grave of Jim Morrison will elicit
tears of flowers and the teats of the Roman she-wolf will invite all those who
want to build a new city on the gentle hills to suckle on them.
Europe
is actually a museum by definition, which comes at a high price. The freedom
for flexibility and mobility enshrined in the EU treaties does not, of course,
apply to refugees or asylum seekers. They are largely prevented, due to their
limited freedom of movement, from participating in cultural experiences,
visiting other places of interest, and learning about Europe's diverse history.
In contrast, Europa To Go acts as an antidote, offering the opportunity to
visit the sights of Europe without having to travel outside the city limits,
possibly incurring criminal charges and thus losing the chance to obtain a
residence permit. Often these city trips fail also because of the financial
means. This applies not only to asylum seekers but also to all those who could
travel on the basis of their passport, but who lack the budget to go to London,
Paris or Venice. They are also cordially invited. In addition, this form of
compressed city tourism represents a contribution to minimizing CO2 emissions
that should not be underestimated, and offers environmentally conscious
cultural afficionados the opportunity to go sightseeing without a guilty
conscience.
God's
Entertainment set up and display the sights of Europe and perform them in
collaboration with the artist Dejan Pranjković, who works and teaches in
Bosnia, and who will be responsible for the deceptively similar
"fakes" of the tourist fetish objects. Whereby, strictly speaking,
they are fakes that are not fakes. For the adequate understanding of the term
fake, a sentence by Tolstoy seems appropriate to us: If you look at things to
describe them, you do not see them. In the course of our artistic career, we
have relied countless times on surrealist works and their authors, who not
infrequently take a counter-position when it comes to defining originality.
Thus, reproductions are not seen as mere copies, which entail a condemnation as
forgery, but as a critique of the institution of art along with its ideology of
the original. In 1914, for example, Marcel Duchamp bought a landscape depiction
as an art print, added two dabs of color to it, and signed the picture. In this
sense, the fake negates its original character as a work in its own right and
becomes another work (by Duchamp's addition) through editing. By reproducing it
on three additional copies, Duchamps further emphasizes the duplicative
character of his artwork.
During
the research and preparation period of 4-6 weeks, the cultural and economic
aspects for the project are considered and accordingly a selection of sights or
popular destinations is made, which are then elaborated and produced. The
approval procedures for the locations and placement of the sights are followed
by the elaboration of the performance tour. A tour group of about 40 people,
divided into two groups, will visit, in the form of a two-hour walking tour,
among others: the Père Lachaise Cemetery, with graves of Jim Morrison, Viktor
Noir, Oscar Wilde... ; Walk of Fame, Red Light District; the remains of the
Berlin Wall; the Kafka statue of Prague; Meridian of Greenwich; Capitoline
Wolf; Eternal Flame from Sarajevo; MOMA NYC; Christo and Jeanne-Claude or a
Venetian Gondola, etc. The Würstelstand, Austrian beacon and fundamental
contribution to European high culture may not be missing, of course, and will
also be visited. Everyone can do what has long been a reality in mass cultural
tourism: get on the bus, head for the tourist object of desire, briefly absorb
and photograph the instant experience, post it on Instagram, quickly buy a
souvenir and then leave again - in order to ultimately be able to say: We've
been there, too!
The tour is adaptable and artistically
disposable, insofar as if one or another regulation is to give in the future,
as for example under Pandemic or Climate Change circumstances, that we can
change it so to prepare and carry out from it an appropriate tour.