Wir befinden uns auf
einer Kreuzfahrt. Tasten wir uns näher heran, transformiert sich das uns
Bekannte. Genau wie im Traum. Wir hören das Geräusch eines ins Wasser
springenden Menschen, doch der Pool ist ein trockener Teppich. Wir wollen
unsere Rente am Spielautomaten verzocken, aber statt um Geld spielen wir um
Privilegien, die insbesondere mit westlich-europäischen
Staatsbürger*innenschaften verbunden sind. Wir inspizieren die Rettungsringe,
die sich als Ouroboros, als sich selbst fressende Schlangen entpuppen. Wir
erkennen weltführende und umweltfeindliche Marken an Board, die für ihre Stärke
und Mächte aber das Tierbild als Markenzeichen benutzen.
Der Begriff Cruise hat seinen Ursprung in dem niederländischen
Wort kruiser - aus dem 17Jhd. - der ein kreuzendes Schiff, im Sinne von
hin- und herfahrend, bezeichnete. In diesem Sinne sind Kreuzfahrten so etwas
wie fahrende Diskurse, wenn unter Diskurs die Bewegung von Hin und Her
verstanden wird, von Kommen und Gehen, von Schritten und Verwirklichungen. Die
Koordinaten dieser zukunfts-weisenden Kreuzfahrt bestimmen die Frage, wie
Menschen und Nicht-Menschen in einer Welt von Morgen zusammenleben können. Wie
in einem luziden Traum entscheiden wir selbst, wohin der Kurs geht: Wollen wir
uns dem süßen Nichtstun des Urlaubs hingeben oder wollen wir von der Liege
aufstehen und uns mit hyperkapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen
auseinandersetzen? Sind wir bereit, Menschen zu sehen, die nicht an Deck gehen
dürfen? Wollen wir erkennen, dass Träume zu Albträumen werden können, der Traum
von Europa sich nur für wenige erfüllt? Und wollen wir aus diesem Schlaf
geweckt werden, uns in andere Traumwelten begeben?
Das Ziel dieser fiktiven Traumreise mündet schließlich in der
Skizzierung eines Modells für das artenübergreifende Zusammenleben. Wir fahren
langsam, hin und her, weil wir weit kommen wollen. Und während wir reisen
konzentrieren wir uns nicht so sehr auf das Ziel, sondern auf die Erfahrung der
Reise selbst.
Donna Haraway bekräftigt in UNRUHIG BLEIBEN, welche Geschichten
Geschichten erzählen, welche Konzepte Konzepte denken. Mathematisch, bildlich
und erzählend ist es von Gewicht, welche Figuren Figuren figurieren, welche
Systeme Systeme systematisieren. Im
Postanthropozän sollen symbiotische Beziehungen mit anderen Arten und damit
neue Verwandtschaften entstehen. Bei der Philosophin und Naturwissenschaftlerin
Haraway geht ein Oktopus jedoch über das Symbolhafte hinaus. Er entspricht hier
nicht mehr dem menschengemachten Bild eines erschreckenden Wesens. Es ist seine
dezentrale und fluide Beschaffenheit, unzählige Nervenzellen, von denen zwei
Drittel in seinen Tentakeln stecken, an denen Haraway den Begriff des
„tentakulären Denkens“ anlehnt. Ein tastendes Denken ist antiautoritär, schafft
ein völlig anderes Verhältnis zur (Um-)Welt. Vielleicht könnten wir aus
einer symbiotischen Verbindung mit ihnen lernen, aktiver von einer anderen Welt
zu träumen. Und vielleicht sind wir auf der Cruise Tentare Teil eines kollektiven
Traumes, der eine andere Realität schafft: „Ein Traum, den man alleine träumt,
ist nur ein Traum. Ein Traum, den man zusammen träumt, wird Wirklichkeit.“
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We are on a cruise. As we get closer, the
familiar transforms. Just like in a dream. We hear the sound of someone jumping
into the water, but the pool is a dry carpet. We want to gamble away our
pension at the slot machine, but instead of playing for money, we are playing
for privileges, especially those associated with Western European citizenship.
We inspect the lifebelts, which turn out to be ouroboros, self-eating snakes.
We recognize world-leading and environmentally hostile brands on board that use
the animal image as a trademark for their strength and power.
The term cruise has its origins in the Dutch
word kruiser - from the 17th century - which denoted a cruising ship, in
the sense of traveling back and forth. In this sense, cruises are something
like traveling discourses, if discourse is understood as the movement of back
and forth, of coming and going, of steps and realizations. The coordinates of
this future-oriented cruise determine the question of how humans and non-humans
can live together in the world of tomorrow. As in a lucid dream, we decide for
ourselves where the course will take us: do we want to indulge in the sweet
idleness of vacation or do we want to get up from our loungers and confront
hyper-capitalist conditions of exploitation? Are we ready to see people who are
not allowed on deck? Do we want to recognize that dreams can become nightmares,
that the dream of Europe only comes true for a few? And do we want to be
awakened from this sleep and enter other dream worlds?
The goal of this fictitious dream journey
ultimately culminates in the outline of a model for interspecies coexistence.
We travel slowly, back and forth, because we want to get far. And as we travel,
we focus not so much on the destination, but on the experience of the journey
itself.
In STAYING WITH THE TROUBLE, Donna Haraway
affirms which stories tell stories, which concepts think concepts.
Mathematically, figuratively and narratively, it is important which figures
figurate figures, which systems systematize systems. In the post-anthropocene,
symbiotic relationships with other species and thus new kinships are to emerge.
For the philosopher and natural scientist Haraway, however, an octopus goes
beyond the symbolic. It no longer corresponds to the man-made image of a
frightening creature. It is its decentralized and fluid nature, countless nerve
cells, two thirds of which are in its tentacles, to which Haraway borrows the
term "tentacular thinking". Tentacular thinking is anti-authoritarian
and creates a completely different relationship to the world. Perhaps we could
learn from a symbiotic connection with them to dream more actively of a
different world. And perhaps on the Cruise Tentare we are part of a collective
dream that creates a different reality: "A dream you dream alone is just a
dream. A dream you dream together becomes reality."
In Coproduction with URBANE KÜNSTE RUHR | Kulturforum Witten | Kampnagel | Supported by BMKOES - MA7